Selbstversuche auf dem Inklusiven Sportfest. Plus: Barriere-Check: Sportfest!
Wir haben die Angebote ausprobiert und uns umgeschaut, was das Sport-Fest für Inklusion bringt
Dieser Text hat Kapitel:
Der Rahmen
Selbstversuche
Umfragen
Barriere-Check: Sportfest!
Es gibt auch Fotos.
Ein Rollstuhl kippelt auf dem flachen Hindernis. Die Fahrerin erschrickt kurz, springt auf und schaut sich den Parcours erst einmal im Stehen an. Dann hält sie kurz inne, als sie bemerkt, dass Herumlaufen nicht gerade der Sinn dieses Selbstversuchs ist. Also setzt sie sich wieder und versucht noch einige Male vergeblich, alleine über die leichte Erhöhung zu kommen. „Das ist was ganz anderes, wenn man es mal selbst erlebt“, sagt sie später an einem Infostand.
Der Rahmen
Damit hat sie den Sinn des ganzen Tages eigentlich schon recht gut zusammengefasst. Es fand nämlich das Inklusive Sportfest in Trier auf dem Viehmarkt statt. Ab diesem Wochenende sind die Weltspiele von Special Olympics in Berlin, zum ersten Mal überhaupt in Deutschland. 7000 Athleten aus 190 Ländern und rund 20´000 Helfer*innen reisen laut den Veranstaltern für die Spiele an. Zuvor machen die Gäste aus aller Welt Halt in verschiedenen deutschen Städten. Trier empfängt dieser Tage die Delegation aus Panama. TACHELES wird natürlich auch dort mit dabei sein und berichten. Im Vorfeld der so genannten Host Town Tage möchte die Stadt Trier auf den inklusiven Gedanken einstimmen und veranstaltet das Inklusive Sportfest. Egal, ob mit oder ohne Beeinträchtigung, alle Menschen sollen gemeinsam Spaß haben, Berührungsängste abbauen und Barrieren, vor allem im Kopf, überwinden.
So bot das Sportfest sechs Mitmach-Aktionen und vier Infostände an. Unsere Redakteur*innen haben sich umgeschaut, die Angebote ausprobiert und das Fest sowie die Besucher und Anbieter einem Barriere-Check unterzogen.
Selbstversuch: Lebend-Kicker
Unter der schon am Vormittag glühenden Sonne hat TACHELES-Redakteur Heinrich sich sofort zum Lebend-Kicker hingezogen gefühlt. Die Konstruktion bietet ein kleines Fußballfeld, luftgefüllte Banden wie bei einer Hüpfburg und dazwischen Stäbe wie an einem Kickertisch. Nur dass diesmal die Spieler nicht von außen bedient werden. Stattdessen hakt sich Heinrich mit den Händen in einem großen Flies an der Stange ein und kann sich nun nur noch gemeinsam mit seinen Mitspielern nach rechts und links bewegen. Er findet das klasse: „Da kann man sich festhalten. Das finde ich gut. Da kippt man nicht so schnell um. Da springt mir keiner in die Beine. Das tut mir sonst nämlich weh beim Fußball. Und man muss zusammenarbeiten. Das ist sonst im Leben auch so.“
Als ihm zu warm wird, klettert er aus dem Spielfeld wieder heraus. Eine gewisse Beweglichkeit muss man mitbringen, aber mit etwas Hilfe gelingt es ihm. „Ich habe sogar ein Tor geschossen“, freut sich Heinrich.
Betreut wurde der Kicker vom Team Bananenflanke Trier. Das ist ein Fußballverein mit Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung. Sie haben in ihrem Kicker vorgelebt: Egal, wer wir sind, wir können zusammenarbeiten und gemeinsam Spaß haben. Da kommt man viel besser zusammen als sonst, sagt Heinrich.
Selbstversuche: Cornhole und Torwand
Martina, Sigrid und Heike sind heute richtig gut drauf. Für sie ist das Sportfest eine Möglichkeit, einfach mal Spaß mit Bewegung zu haben. An der Torwand zeigen sie ungeahnte Talente. Heike, die erst ganz selten mal gegen einen Fußball getreten hat, gewinnt sogar gegen Sigrid, die früher mal in einem Mädchen-Team gespielt hat. Es gibt viel zu lachen. Aber zu spannenden Begegnungen oder Gesprächen kommt es nicht.
Anders beim Cornhole. Der Sport erfreut sich in unter beeinträchtigten Menschen schon länger wachsender Beliebtheit. Kleine Säckchen in ein Loch in einem Holzbrett werfen, das ist ja nicht schwer zu verstehen, sagen die Redakteurinnen. Und sie sind richtig gut darin.
Ein Passant im Rollstuhl, der das Fest mit seinem Sohn zu besuchen scheint, kommt dazu. Man tauscht sich kurz aus und spricht später noch über Special Olympics, denn die Station wird vom Rheinland-Pfälzischen Special Olympics Verband betreut. Nicht jeder wächst mit solch einem Bewusstsein für Inklusion auf wie dieser Junge. Unsere Redaktion spürt es fast tagtäglich.
Selbstversuch: Rollstuhlbasketball
Die Dolphins sind eine von sehr wenigen Bundesliga-Mannschaften aus Trier. Im Rollstuhlbasketball sind sie seit vielen Jahren stark unterwegs. Trainer Dirk Passiwan ist sogar als Bundestrainer für die Damen-Mannschaft aktuell bei der Weltmeisterschaft in Dubai.
Auch ohne ihn zeigen einige Team-Mitglieder eindrucksvoll ihren athletischen Sport. Die TACHELES-Redaktion probiert sich auch hier. Heinrich hat zunächst einige Probleme, in den Stuhl zu kommen: sehr niedrig, rollt schnell in alle Richtungen weg, etwas eng ist er auch. Dann klappt es aber. Das Rollen und vor allem das Holpern über die Steine auf dem Viehmarkt ist sehr ungewohnt für ihn. Der Korb ist plötzlich auch so weit weg. Was vorher noch so einfach aussah, ist auf einmal doch recht schwierig.
Martina geht es ähnlich. Sie fühlt sich nicht sehr wohl. Es braucht schon viel Kraft, den Ball überhaupt auf Höhe des Korbs zu werfen. Der Sport setzt körperlich recht viel voraus. Mit einer geistigen Beeinträchtigung geht dann in einem richtigen Spiel auch oft alles viel zu schnell. Da schaut sie lieber zu, wenn die Profis mit voller Geschwindigkeit gegeneinanderstoßen und den Ball trotzdem noch sicher in den Maschen versenken. „Das ist schon eindrucksvoll“, staunt sie. Und als Reporterin Sigrid den Ball selbst versenkt, staunt sie noch mehr.
Selbstversuch: Rollstuhlparcours
„Das wollte ich schon immer mal probieren“, sagt Sigrid. Die erste Runde dreht sie mit Hilfe des Volunteers, der den Parcours betreut. Geschoben zu werden findet sie dann doch recht einfach. „Darf ich das auch mal ohne Hilfe?“, fragt sie. Zuerst bekommt sie einen staunenden und etwas kritischen Blick. Aber natürlich darf sie. „Ich gehe trotzdem mit, ja?“, fragt der Volunteer. Gut so, denn schon bei einer – nicht einmal allzu steilen – Rampe, kommt Sigrid kaum weiter. Sie kippelt, die Vorderräder hängen kurz in der Luft. Aus eigener Kraft kommt sie nicht herüber. „Das hätte ich nicht gedacht“, wundert sie sich. „Das sieht so einfach aus. Und in der Stadt die Hindernisse sind ja noch viel größer. Da kommt man dann ja gar nicht durch“.
Infostände
Die Lebenshilfe Trier, Special Olympics Rheinland-Pfalz und die Lokale Agenda 21 Trier haben Informationen, Gespräche, Erfahrungsaustausch und Anregung geboten. Leider verhinderte schon früh am Mittag die stehende Hitze, dass noch mehr Besucherinnen und Besucher zu dem Fest kamen. Es war einfach zu heiß, sich körperlich zu betätigen und zu anregenden Gesprächen kam es dadurch nicht so oft wie gewünscht.
Trotzdem haben noch einige Menschen ihren Weg auf das Fest gefunden. Vor allem auch Jugendliche und jüngere Erwachsene zeigten sich interessiert an den Infos. Mit manchen haben sich auch unsere Redakteur*innen ausgetauscht. Es ist ein erster Schritt auf dem Weg, das noch häufig am Rande des Bewusstseins vergessene Thema der Inklusion mehr in die Aufmerksamkeit zu rücken. Denn nur, wenn Menschen miteinander sprechen und voneinander lernen, kann sich etwas zum Guten tun, sagt die Redaktion. Der vom Projekt „Selbstvertretung – Na klar.“ organisierte Lebenshilfe-Stand konnte einige Gespräche und Info-Material vermitteln.
Das größte Zusammenfinden fand dennoch, vor allem am Vormittag und frühen Mittag, beim Sport statt. Dazu brauchte es nicht einmal tiefgängige Gespräche. Gemeinsam aktiv zu sein mit einem Lächeln im Gesicht und der Möglichkeit, ungezwungen nach den eigenen Möglichkeiten teilzuhaben, war eine gute Grundlage für gelebte Inklusion.
Umfragen: Warum inklusiv, warum hier?
TACHELES-Redakteurin Heike hat sich auf dem Inklusiven Sport-Fest umgehört. Wir haben die Umfragen aufgenommen, sodass ihr sie euch in unserem Player auch anhören könnt. Hier eine schriftliche Zusammenfassung:
Bananenflanke Trier
Warum wollen Sie Ihren Sport hier vorstellen?
Mein Sohn und ich kamen zur Bananenflanke, weil er eine Beeinträchtigung hat. Ich wollte ihm ermöglichen, Fußball zu spielen. Die Bananenflanke ist ein Fußballverein für Menschen mit Beeinträchtigung. Wir wollen uns hier heute vorstellen und das Inklusive Fest unterstützen.
Wie kamen Sie zu dem Sport?
Ich habe früher selbst Fußball gespielt und wollte meinem Sohn das auch ermöglichen. Man kann gemeinsam Spaß haben und super viel voneinander lernen.
Wie kamen Sie dazu, den Leuten diesen Sport beizubringen?
Sport verbindet und durch Sport lernt man viel, vor allem sozial. Mit Sport geht es einfacher als im Alltag. Ich finde es den idealen Weg.
Was ist das Coole an Ihrem Sport?
Man kann sich miteinander freuen. Das ist das Schöne am Fußball.
Dolphins Trier
Wie kamen Sie dazu, den Leuten diesen Sport beizubringen?
Es ist immer schön, seinen Sport weiterzugeben. Viele Leute wissen gar nichts mit einem Rollstuhl anzufangen und dann die Begeisterung der Menschen zu sehen, das ist toll.
Am Stand von Special Olympics Rheinland-Pfalz
Warum sind Sie heute hier?
Wir sind noch nicht bekannt genug in Rheinland-Pfalz, deshalb wollen wir das heute nutzen.
Wie kamen Sie zu Special Olympics?
Ich habe für die Stadt Mayen Special Olympics betreut und bin dann voll eingestiegen.
Was ist das Coole an Ihrem Sport?
Man trifft immer wieder auf Menschen, die Spaß an Sport und Treffen haben. Das finde ich cool.
Am Rollstuhl-Parcours
Warum sind Sie heute hier?
Ich lebe seit 27 Jahren in Trier. Ich bin in Panama geboren und die Delegation, die nach Trier kommt, ist aus Panama. Alles, was in meiner Stadt abgeht, interessiert mich.
Was finden Sie cool am Inklusiven Sportfest?
Ich finde, es ist immer cool, wenn etwas in Trier abgeht. Und wenn die Sonne scheint – umso besser!
Barriere-Check: Sport-Fest!
Wenn TACHELES-Redakteur*innen irgendwo vor Ort sind, können sie fast nicht anders als auch ein paar Blicke auf die Organisation, den Ort und die Barriere-Freiheit zu werfen. Neben all den Eindrücken aus den Selbstversuchen wollten die Reporter*innen also auch hier noch mal genauer hinschauen.
Ort
Den Viehmarkt als Ort für das Inklusive Sport-Fest haben sie als recht gut bewertet. Er liegt zentral, bietet viel Platz und ist einfach zu finden. Der Zugang ist durch die hohen Bordsteine stellenweise begrenzt, doch gibt es genügend Eingänge, dass das kein Problem ist. Heinrich und Heike können zwar auf ebener Fläche gut laufen, Höhen und Stufen sind für sie jedoch ein Problem. Für sie war es kein Problem, auf das Fest zu kommen. Auch ein Rollstuhlfahrer, der das Fest besucht hat, sieht das so: Es sei nicht optimal, aber es funktioniere. Gleiches gilt auch für den Boden, der mit kleinen, flachen Steinen besetzt ist: Nicht so gut wie ein ganz ebener Boden, aber besser als das Kopfsteinpflaster an anderen Stellen der Trierer Innenstadt, vor allem mit dem Rollstuhl.
Toilette
Es gab eine mobile, barrierefreie Toilette. Sie wurde von der Lokalen Agenda 21 Trier organisiert. Das war gar nicht so einfach, wie die Agenda erzählt. Aber es hat sich scheinbar gelohnt. Der Wagen erhielt grundsätzlich Lob und wurde sehr gerne angenommen im Gegensatz zu der Alternative: die Toiletten in den umliegenden SWT-Parkhäusern, die häufig zugesperrt oder schmutzig sind. Durch den nicht allzu hohen Besucherandrang reichte die eine barrierefreie Toilette aus.
Leichte Sprache und Co
Es brauchte am Tag selbst kaum Texte in Leichter Sprache. Die Menschen, die zusammengefunden haben, kamen dank guter Gespräche problemlos miteinander aus. Im Vorfeld hätte Werbung in Leichter Sprache sehr gutgetan, um das Inklusive Sportfest bei allen Menschen bekannt machen zu können. Ein Helfer auf dem Fest kommt aus Costa Rica, er erzählt: „Ich bin auch nicht so ganz gut mit Deutsch. Ich habe Leichte Sprache zum ersten Mal bei euch gesehen, bei TACHELES. Ich dachte zuerst: Das sieht komisch aus. Dann habe ich verstanden: Das ist, damit es einfacher ist. Das hilft mir total!“
An den Imbissbuden am Rande des Fests gab es leider keine Speisekarten mit Bildern. Menschen mit Leseproblemen würde das sehr weiterhelfen. Redakteurin Heike und Redakteur Heinrich erzählen, wie unangenehm es häufig ist, sich immer durchfragen und helfen lassen zu müssen. Sie haben sich also erst bei ihren Kollegen erkundigt, was es an den Ständen gibt und sind dann dort hingegangen. Das hätte ein Inklusives Sportfest mitbedenken können, finden sie.
Übersetzer für Gehörlosensprache waren nicht vor Ort. Das bemängelt unsere Redaktion.
Organisation und Wirkung
Sich auf dem Fest zurechtzufinden, war für niemanden ein Problem. Wer einen Sport ausprobieren oder sich informieren wollte, musste nur an den jeweiligen Stand herantreten.
Die Betreuung der Stände konnte auch gelobt werden: „Die sind alle voll nett“, sagt Sigrid. „Die bemühen sich auch richtig“, ergänzt Heinrich. Die Anbieter und Vereine, die merklich selbst häufig mit Inklusion oder Barrieren zu tun haben, konnten gemeinsam eine offene Atmosphäre schaffen.
Zusammen zu finden, hat über den Sport auch recht gut funktioniert: „Da waren welche von dem Verein, ein Junge, einer, der einfach so vorbeikam und ich“, resümiert Heinrich seinen Einsatz im Lebend-Kicker. Der Grundgedanke des Inklusiven Sportfests hat somit einen guten Ausgangspunkt gefunden, ist sich die Redaktion einig.
„Es waren nur nicht so viele Leute da“, spricht Heike das Problem an. Da das Fest im Voraus nicht allzu gut beworben wurde, fanden weniger Menschen ihren Weg dorthin, als es verdient gehabt hätte. Die Hitze spielte natürlich auch eine große Rolle. Doch um wirklich in einem größeren Rahmen einen nachhaltigen Effekt zu erzielen, müssten schon mehr Menschen angesprochen werden, ist der Konsens bei allen auf dem Viehmarkt. „Das müssten die öfter machen. Mindestens einmal im Jahr. Damit es auch was bringt“, sagt die TACHELES-Redaktion.